Hans H. Knütter
Europa ja - aber was wird aus Deutschland?
Artikel-Nr.: 11621 |
Europa steht mitten in dem wohl größten Umbruch seiner politischen Strukturen seit Jahrhunderten. Insbesondere nach der Wende im Osten und der kleinen deutschen Wiedervereinigung haben sich in wenigen Jahren die politischen Entwicklungen überstürzt und neue Möglichkeiten in die Nähe der Verwirklichung gerückt. Das Ende dieses Jahrhunderts, das für Europa mit den großen Weltkriegen mindestens zwei folgenreiche Katastrophen brachte, bietet die Chance zu einem Neubeginn unter anderen Vorzeichen.
Die Frage dabei ist, ob die Europäer aus der Geschichte gelernt haben und heute weitsichtig genug sind, die gegebenen Gelegenheiten zu nutzen, insbesondere die nationalistischen Egoismen zu überwinden. Schon nach dem Ersten Weltkrieg gewann der Versöhnungsgedanke in Deutschland große Kreise, vertreten etwa durch Gustav Stresemann, verstärkte sich vor allem in der jungen Generation der dreißiger Jahre und war nach dem Zweiten Weltkrieg Allgemeingut geworden. Die Deutschen wurden in ihrem Idealismus allerdings immer wieder durch die von den jeweiligen Siegern durchgesetzte Politik enttäuscht, so daß weithin ein Aussteigen aus der Geschichte praktiziert wurde. Doch Angst vor der Macht und Rückzug aus der Politik sind keine zukunftsträchtige Alternative in einer Welt, in der es weiterhin um Einfluß und harte wirtschaftliche Tatsachen geht.
Nun steht die Europäische Währungsunion vor der Tür. Nun Kürze soll die Deutsche Mark, das Symbol nachkriegsdeutschen Erfolges, abgeschafft und durch eine europäische Gemeinschaftswährung, den Euro, ersetzt werden. Der dem gegenüber sicher bessere Weg, zunächst eine Politische Union in Europa anzustreben und erst danach die Finanz- und Wirtschaftspolitik zu vereinheitlichen, scheiterte am mangelnden Gemeinschaftssinn der Nachbarstaaten, die noch nicht bereit waren, wesentliche Teile ihrer politischen Souveränität zugunsten des Ganzen aufzugeben. So wurde das Pferd praktisch vom Schwanz her aufgezäumt, und genügend Warner erhoben ihre Stimme vor einer voreiligen Gründung der Europäischen Währungsunion.
Doch Politik ist die Kunst des jeweils Möglichen, und so ist von der jetzigen Lage auszugehen. Das vorliegende Sammelwerk vereinigt Beiträge von Wissenschaftlern, Politikern und Publizisten, die sich als Deutsche mit den Erfahrungen unseres Jahrhunderts für ein Zusammenwirken in Europa einsetzen, aber auch die Gefahren übereilter und ideologiebefrachteter Entscheidungen sehen. Die Autoren bejahen ein näheres Zusammenrücken in Europa, in dem hoffentlich Kriege der Vergangenheit angehören, möchten aber die in Kultur, Sprache und Traditionen vielgliedrige Gestaltung Europas beibehalten. Sie wollen die reichen Früchte europäischen Geistes auch in die Zukunft fortgesetzt sehen und warnen vor den gleichmacherischen und die Freiheit bedrohenden Folgen einer einheitlichen Weltzivilisation. Sie rufen das ins Gedächtnis, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, und erinnern an die Leistungen früherer Zeiten. Sie weisen außerdem Möglichkeiten auf, die bei der Gestaltung des kommenden Jahrhunderts bedacht werden müssen, und wollen damit die gegenwärtige Diskussion um die Neuordnung Europas befruchten.
Unser Kontinent steht vor schwerwiegenden Entscheidungen. Die Nachkriegsära, die auf der Siegerpolitik von Jalta und Potsdam aufbaute, ist seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums zu Ende gegangen. Neues bahnt sich an, ein großer Wurf steht noch aus. Aus seiner geographischen Lage wie aufgrund seiner geistigen und wirtschaftlichen Möglichkeiten kommen große Aufgaben auf Deutschland zu, nicht nur für sich selbst, sondern für ganz Europa. Diesen gerecht zu werden verlangt eine neue Politik, auch ein neues Verhältnis zur Vergangenheit. Der Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin kann ein Signal setzen. Aber auch eine Bewußtseinsänderung ist notwendig, damit die Zukunft richtig gestaltet werden kann. Dazu werden in diesem Band notwendige Voraussetzungen aufgezeigt. Er versteht sich als eine Anregung zur Diskussion mit dem Ziel, Klarheit zu gewinnen.
424 S., geb.