Norbert von Handel
Paul Anton Freiherr von Handel
Artikel-Nr.: 12889 |
1776–1847; Aus den Erinnerungen eines Staatsmannes im Dienste des Deutschen Ordens und des Hauses Österreich in Zeiten des Umbruches
Paul Anton Freiherr von Handel wurde 1776 im südwestdeutschen Städtchen Mergentheim geboren, dem Hauptsitz des Deutschen Ordens, für den seine Familie bereits generationenlang tätig war. Mergentheim gehörte damals auch zu den weltlichen Besitzungen des Deutschen Ordens, der der Landesherr war. Nach dem Abschluss seines Studiums in dem zu Preußen gehörenden Erlangen ernannte ihn der Hochmeister des Deutschen Ordens und Kurfürstbischof von Köln, Erzherzog Maximilian, bereits im Alter von 21 Jahren zum Legationssekretär und schickte ihn auf den Kongress von Rastatt, der dem Frieden von Campo Formio folgte, welcher 1797 den Zweiten Koalitionskrieg gegen Frankreich beendet hatte. Danach in der Ordensregierung beschäftigt, erhielt Handel 1802 vom Hoch- und Deutschmeister des Ordens, Erzherzog Karl, den Auftrag, als Delegat des Ordens zu den Verhandlungen nach Regensburg zu reisen, die schließlich in den sogenannten Reichsdeputationshauptschluss mündeten, durch den die meisten geistlichen Territorien, Reichsstädte und kleineren Reichsstände zugunsten deutscher Staaten wie Preußen, Baden, Württemberg und Bayern aufgelöst wurden und 45.000 km2 Land in andere Hände überging. Paul Antons intensiver Einsatz für die Belange des Ordens war letztlich nur bedingt von Erfolg gekrönt, denn obwohl dieser noch als Souverän anerkannt wurde, verlor er die meisten seiner Territorien.
Das Angebot, in die Verwaltung Bayerns zu wechseln, wo ihm die nach heutigen Maßstäben einem Staatssekretär gleichende Position angetragen wurde, lehnte Handel jedoch ab und bemühte sich vielmehr um eine Stellung im Dienste des Kaisers. Doch einstweilen verblieb er in Mergentheim, das durch den Pressburger Frieden 1805 dem österreichischen Kaiserhaus zugefallen war, wie auch der Deutsche Orden zu einem Teil der Habsburger Monarchie geworden war, dessen Hochmeister der Kaiser einsetzen konnte. 1809 besetzten württembergische Soldaten rechtswidrig das Städtchen. Die folgenden dramatischen Ereignisse schildert Paul Anton ausführlich: In der (irrigen) Hoffnung auf heranrückende Österreicher kommt es zum Aufstand, die frisch eingesetzten württembergischen Beamten werden inhaftiert, doch größere Ausschreitungen können verhindert werden. Der von Paul Anton überaus negativ geschilderte württembergische König Friedrich schickt erneut Soldaten, die nach der Rückeroberung Mergentheims etliche Gräueltaten begehen. Friedrich nimmt unbarmherzig Rache an den unglücklichen Bürgern, die jedoch keinen Verrat begangen hatten, sondern nur, politisch unklug, ihrem rechtmäßigen Landesherrn treu geblieben waren. Sogar die Gebeine des Hochmeisters Walther von Cronberg wurden aus der Gruft gerissen und in den Schutt geworfen; die Zerstörung von Kulturgütern war immens.
1811 gelingt es Handel endlich, in kaiserliche Dienste zu treten, doch wird er zuerst mit der Spezialaufgabe betreut, dem hoch verschuldeten Vater des österreichischen Außenministers Graf Metternich aus seiner misslichen finanziellen Lage zu helfen, was ihm mit einigem Fingerspitzengefühl auch gelingt.
1813, nach der Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht von Leipzig, wird Paul Anton von Metternich zum Militärintendanten des Großherzogtums Würzburg ernannt, das jedoch gemeinsam mit dem Fürstentum Aschaffenburg an Bayern fallen soll, um dergestalt die Rückkehr Tirols mit Vorarlbergs zu Österreich zu ermöglichen. Paul Anton bereitet unermüdlich diese im Juni 1814 erfolgende Übergabe vor.
Auch am Wiener Kongress nimmt Handel in hervorragender Position teil, weshalb sich seine diesbezüglichen, zuvor unveröffentlichten Erinnerungen und Hintergrundschilderungen besonders spannend lesen! Die Arbeitsbelastung war ungeheuerlich. Paul Anton gehörte in führender Stellung einem Komitee an, das sich auf Wunsch des Kaisers um die künftige Gestaltung Deutschlands kümmern sollte. Aus den Erinnerungen des redlichen Freiherrn geht aber auch unmissverständlich die verbreitete Korruption hervor, die selbst vor Metternich selbst nicht haltmachte. Schier unglaubliche Verquickungen von persönlichen mit Staatsinteressen schildert Handel en détail, die heute allesamt ein Fall für die Korruptionsstaatsanwaltschaft wären.
Nach dem Kongress wird Handel nach Mainz gesandt, um die Geschicke des 300.000 Einwohner umfassenden Ländchens zu lenken, auf das Österreich gemäß dem Wiener Kongress eine Option hat. Doch es muss sich zwischen Salzburg und ersterem entscheiden, und so fällt Mainz an das Großherzogtum Hessen.
Die letzten 24 Jahre seines Berufslebens verbringt der Freiherr von Handel dann in Frankfurt, wo er als Direktor der Kanzlei des Deutschen Bundes wirkt. Gleichzeitig wird er aber auch als „Ministerresident“ bei den zwei Höfen von Nassau (Wiesbaden) und Hessen (Darmstadt) sowie der Freien Reichsstadt Frankfurt akkreditiert. Damit steht er im Ministerrang und ist Kaiser Franz I. direkt unterstellt. Nach wie vor spannt ihn Metternich aber auch in die Abwicklung höchst privater Angelegenheiten ein. An der Organisation der Kongresse von Aachen, Karlsbad und Verona, die die Anliegen der Heiligen Allianz weiterzuführen beabsichtigen, ist Handel führend beteiligt und nimmt an ihnen teil. Seine diesbezüglichen Schilderungen sind einmal mehr Geschichte aus erster Hand. In Verona wird übrigens auch das bereits am Wiener Kongress beschlossene Verbot des Sklavenhandels endgültig verabschiedet.
Mehrfache Gesuche, ihn in den Ruhestand zu versetzen, werden von Metternich, der auf seinen so fähigen Mitarbeiter in Frankfurt nicht verzichten will, einfach nicht beantwortet. Erst als ihn im 65. Lebensjahr ein kleiner Schlaganfall rechtsseitig lähmt, wird sein Gesuch positiv beschieden. Nun endlich kann er sein Gut Hagenau in Oberösterreich aktiv bewirtschaften. Acht Jahre später verstirbt er.
Nicht nur die „Haupt- und Staatsangelegenheiten“ sind es, die die Lebenserinnerungen des Freiherrn von Handel auszeichnen. Sein Bericht legt auch Zeugnis ab von Leben und Liebe, von persönlichen und familiären Gefühlen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, und sticht insbesondere durch die ungeschminkte Beurteilung vieler „großer Namen“ heraus, die damals die Diplomatie und Politik Österreichs zum Schaden desselben dominierten, „diplomatische Nullitäten“, die „mehr in Vergnügungen als in Geschäften“ lebten, wie Handel schon vor der Revolution von 1848 klarsichtig schrieb.
224 Seiten, Hardcover